Neben der Lutz-Diät und der Speziellen Kohlenhydratdiät (SCD) wird auch immer wieder die Paleo- oder Steinzeit-Diät zur Ernährung bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa empfohlen.
Der Amerikaner Loren Cordain, Autor des Buches „The Paleo Diet“, bezeichnet sich selbst als Gründer der Paleo-Ernährung und auf die Frage eines Patienten, ob die Paleo-Diät bei Morbus Crohn helfen könnte, antwortet Cordain auf seiner Homepage:
Viele Menschen haben die Symptome von Morbus Crohn erfolgreich mit der Paleo-Diät behandelt. […] Die folgenden Lebensmittel sollten bei Morbus Crohn gemieden werden:
- alle gewöhnlich konsumierten Getreide, eingeschlossen Weizen, Roggen, Gerste, Hafer, Mais und Reis
- alle Bohnen und Linsen
- Kartoffeln und Tomaten
- alle Pseudo-Getreide, eingeschlossen Amaranth, Quinoa, Buchweizen und Chia-Samen
Cordain hat Recht, wenn er sagt, dass es Morbus-Crohn-Patienten gibt, denen es mit der Paleo-Diät besser geht.
Aber geht es den Betroffenen tatsächlich besser, weil sie selbst auf gut verträgliche Lebensmittel, wie Kartoffeln und Reis, verzichten?
Und warum empfiehlt Cordain die Paleo-Diät für alle Patienten mit Morbus Crohn? Weiß er nicht, dass jeder Patient andere Dinge verträgt und es nicht die eine Ernährung gibt, die für alle geeignet ist?
Wie kommt es überhaupt dazu, dass bei der Paleo-Diät so viele ganz normale Lebensmittel verboten sind?
Was ist die Paleo-Diät?
Die Paleo-Diät verlangt, dass wir Getreide, Hülsenfrüchte und Milchprodukte komplett aus unserem Speiseplan streichen, weil diese Nahrungsmittel erst seit ca. 10.000 Jahren und der Einführung von Ackerbau und Viehzucht Teil unserer Ernährung sind und wir deshalb genetisch daran noch nicht angepasst sind.
Angeblich ist die fehlende genetische Anpassung der Grund dafür, dass wir diese Nahrungsmittel entweder nicht verdauen können oder bestimmte Stoffe darin so schädlich sind, dass sie unsere Darmwand schädigen und so chronische Erkrankungen, wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa, auslösen.
Es wird also behauptet, dass sich unsere Gene seit der Steinzeit nicht verändert haben und dass wir uns deshalb „artgerecht“, wie unsere Vorfahren in der Steinzeit, ernähren sollten. Nur dann bleiben wir von den Zivilisationskrankheiten verschont, die uns heute plagen.
Wenn man die Grundannahmen der Paleo-Ernährung hinterfragt, wird einem jedoch schnell klar, dass dieser Ansatz weder logisch noch wissenschaftlich belegt ist.
Essen wir erst seit 10.000 Jahren Getreide?
Gene werden von Generation zu Generation weitergegeben, wenn sie Überlebensvorteile für einen Organismus in seiner Umwelt bieten.
Einer Generation entsprechen dabei 20 Jahre.
10.000 Jahre sind also 500 Generationen!
Die Verfechter der Paleo-Ernährung erklären nicht genau, warum über so viele Generationen hinweg keine genetischen Anpassungen erfolgen. Deshalb werde ich später noch näher auf diese Frage eingehen.
Zunächst einmal will ich aber darauf hinaus, dass wir ohnehin nicht erst seit 10.000 Jahren Getreide essen, sondern schon deutlich länger!
An der israelischen Küste hat man z. B. Pflanzenreste von wilder Gerste und wildem Weizen gefunden, die 23.000 Jahre alt waren. Diesen Fund sehen Archäologen als Beweis dafür an, dass auch die Jäger und Sammler aus dieser Zeit schon Getreide verarbeitet und gegessen haben.1
23.000 Jahre sind 1.150 Generationen!
Auch in Europa haben archäologische Funde gezeigt, dass Jäger und Sammler sogar schon vor 30.000 Jahren Getreidekörner nicht nur gegessen, sondern auch mit Mahlsteinen zu Mehl verarbeitet haben.2
30.000 Jahre sind 1.500 Generationen!
Und um den 10.000 Jahre-Mythos endgültig zu beerdigen:
In Mosambik hat man auf Steinwerkzeugen Reste von Hirse und anderen Getreidesorten gefunden, die zeigen, dass unsere Steinzeitvorfahren schon vor 105.000 Jahren Getreide verarbeitet und gegessen haben.3
Getreide ist also seit über 100.000 Jahren und 5.000 Generationen Bestandteil unserer Ernährung und wurde von den Jägern und Sammlern der Steinzeit in vielen Regionen der Erde gegessen.
Wenn die Paleo-Ernährung also bei Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa sinnvoll wäre — was ich nicht behaupten würde — dann müsste sie aus diesem Grund auch Getreide erlauben!
Reichen 10.000 Jahre für genetische Anpassungen?
Gehen wir einmal davon aus, dass die Paleo-Verfechter Recht hätten und wir erst seit 10.000 Jahren Getreide essen.
Wären diese 10.000 Jahre tatsächlich zu kurz für wichtige genetische Anpassungen?
Nehmen wir als Beispiel einmal die Verdauung des Milchzuckers:
An 5.000 Jahre alten Knochenfunden aus Deutschland konnte man mittels Genanalyse nachweisen, dass damals kein Mensch bei uns den Milchzucker Lactose auch im Erwachsenenalter verdauen konnte.4
Heute können in Deutschland aufgrund einer genetischen Anpassung 85 % der Menschen Milch trinken, weil sie aufgrund einer genetischen Anpassung das Enzym Lactase auch noch im Erwachsenenalter produzieren.
In diesem Fall hat die genetische Anpassung also weniger als 5.000 Jahre oder 250 Generationen gedauert.
Ich will damit nicht sagen, dass man bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa Milch trinken soll. Im Gegensatz zu den Paleo-Anhängern interessieren mich solche genetischen Anpassungen überhaupt nicht.
Ich wollte damit nur zeigen, dass genetische Anpassungen schneller stattfinden können, als die Paleo-Befürworter behaupten.
Und wie oben gezeigt: Wir essen Getreide ja nicht erst seit 10.000 Jahren, sondern schon viel länger.
Jetzt könnte es natürlich sein, dass die Anpassungen bei Getreide länger brauchen, als bei Milch.
Aber auch hier muss ich die Paleo-Welt enttäuschen.
Man hat in einer Studie die Gene von Europäern mit den Genen von Jäger-und-Sammler-Stämmen verglichen und konnte nachweisen, dass die Europäer, die mehr Getreide essen, auch mehr Kopien des Genes haben, das für die Verdauung von Stärke verantwortlich ist.13
Wir haben uns also genetisch auch an den Konsum von Getreide angepasst und es gibt deshalb auch keinen Grund Getreide grundsätzlich zu verteufeln.
Warum wir nicht auf unsere Gene hören sollten!
Davon abgesehen muss man sich die Frage stellen, ob genetische Anpassungen überhaupt notwendig sind, damit wir ein Nahrungsmittel vertragen?
Nehmen wir als Beispiel mal die Blaubeeren, die ursprünglich aus Nordamerika kommen.
Sollte sich ein Mensch aus China Sorgen machen, wenn er Blaubeeren essen möchte, weil seine chinesische Vorfahren keine Blaubeeren gegessen haben und er deshalb keine Blaubeer-Gene hat?
Sollte er vorsichtshalber erst einen Archäologen fragen, ob die Chinesen in der Steinzeit Blaubeeren schon kannten?
An diesen Fragen sieht man, wie absurd die Annahmen der Paleo-Ernährung sind.
Dass wir nicht unsere Gene danach fragen sollten, was gut für uns ist, kann man auch am Beispiel von Alkohol sehen.
Der Autor Sharon Moalem erklärt in seinem Buch „Survival of the Sickest“, wie es dazu kam, dass Europäer Alkohol besser abbauen können, als Asiaten:
Als wir anfingen in Städten zu wohnen und erstmals die Verfügbarkeit von sauberem Trinkwasser zum Problem wurde, begegneten die Asiaten dem Problem, indem sie das Wasser abkochten und Tee daraus machten, während die Europäer die Mikroben durch die Fermentation von Flüssigkeiten, unter Bildung von Alkohol, abtöteten.
Weil wir Europäer die alkoholische Gärung zur Lösung des Trinkwasserproblems entdeckt haben und seitdem Alkohol trinken, besitzen wir bis heute genetische Anpassungen, die uns helfen Alkohol schneller abzubauen.
Sollten wir aufgrund dieser genetischen Anpassung Alkohol trinken, damit wir in Einklang mit unseren Genen leben? Oder den Konsum von Alkohol zur Heilung von schweren Krankheiten, wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa, empfehlen?
Ich trinke fast keinen Alkohol mehr seit ich die Diagnose Colitis ulcerosa bekommen habe, weil ich ihn einfach nicht mehr gut vertrage.
Darüber hinaus zeigen auch wissenschaftliche Ergebnisse, dass man mit Alkohol bei CED vorsichtig sein sollte.
So kommen die Autoren einer Studie von 2008 zu dem Schluss, dass der Konsum von Alkohol die Darmwand durchlässiger macht (Leaky Gut) und so zu einer höheren Belastung mit Bakteriengiften (Endotoxinen) und dadurch zu einer höheren Ausschüttung des Entzündungsbotenstoffes TNF-α führt.5
Wäre es nicht klüger als CED-Patient auf die vorhandenen Studien, die eigene Erfahrung und den gesunden Menschenverstand zu vertrauen, anstatt sich an genetischen Anpassungen zu orientieren?
Ist Zöliakie der Beweis dafür, dass Gluten schlecht für uns ist?
Paleo-Befürworter bringen gerne hervor, dass die Krankheit Zöliakie ein Beweis dafür ist, dass Gluten für alle Menschen schlecht ist.
Zöliakie ist eine genetisch bedingte Glutenunverträglichkeit, die zu einer chronischen Entzündung der Dünndarmschleimhaut führt.
In der westlichen Bevölkerung sind ca. 1-2 % der Menschen von einer Zöliakie betroffen.
Da Zöliakie durch eine Genveränderung hervorgerufen wird, ist der Fall für Paleo-Anhänger klar:
Die betroffenen Menschen sind genetisch noch nicht ausreichend an den Konsum von Getreide angepasst, weil ihre Vorfahren noch nicht lange genug Getreide gegessen haben und deshalb leiden sie heute an dieser Krankheit.
Die Studien zum Thema Zöliakie kommen aber zu einem ganz anderen Schluss:
So vermutet man, dass Zöliakie gerade bei den Menschen häufiger ist, deren Vorfahren sehr früh mit dem Konsum von Getreide begonnen haben.
Das liegt daran, dass mit der Einführung des Getreideanbaus die Menschen viel dichter zusammengelebt haben und dadurch die Übertragung von Infektionen wahrscheinlicher war.
Aus diesem Grund hat sich damals, durch positive Selektion, eine Genmutation durchgesetzt, die vor bakteriellen Infektionen schützt. Ein Nebenprodukt dieser eigentlich sehr hilfreichen Anpassung ist die Krankheit Zöliakie.6
Das ist eines von vielen Beispielen dafür, dass eine genetische Anpassung gleichzeitig Vor- u. Nachteile haben kann. In der Genetik nennt man dieses Phänomen antagonistische Pleiotropie.
Die Evolution ist eben kein Prozess, der ideal und perfekt verläuft.
Genetische Anpassungen sind immer Kompromisse, da jede kleine Veränderung auf den vielen kleinen Veränderungen der Vergangenheit aufbauen muss. Es gibt dabei nie die Möglichkeit etwas perfekt neu zu entwerfen, ohne den Ballast der Vergangenheit.
Wenn Paleo-Anhänger von der perfekten Ernährung für den Menschen sprechen, hat das mehr mit Religion, als mit Evolution zu tun.
Als gäbe es einen Gott, der sich irgendwann einmal entschieden hat den perfekten Menschen und die perfekte Ernährung für diesen Menschen aus dem Nichts zu erschaffen.
Wenn man den Paleo-Lifestyle als Religion betrachtet, versteht man auch, warum die Paleo-Befürworter gerne zwischen „guten“ und „bösen“ Lebensmitteln unterscheiden und andere missionieren wollen.
Wenn man wirklich an das Konzept der Evolution glaubt, muss man sich auch vor Augen halten, dass die Evolution nur an der Weitergabe der Gene durch Fortpflanzung „interessiert“ ist.
Der Evolution ist es egal, ober wir nach Weitergabe unserer Gene lange und gesund leben!
Deshalb sollten wir auch nicht unsere Gene fragen, ob glutenhaltige Getreide gut für uns sind oder nicht.
Und die Tatsache, dass heute 1-2 % der Menschen unter Zöliakie leiden, heißt nur, dass genetische Anpassungen nicht perfekt sind und nicht, dass Gluten für alle Menschen schädlich ist!
Trotzdem gibt es natürlich eine geringe Wahrscheinlichkeit, dass man eine Darmentzündung hat, die durch eine Zöliakie ausgelöst wird.
Wenn Du den Verdacht hast, dass Du zu den betroffenen Patienten gehörst, findest Du hier ein paar Informationen über den medizinischen Zöliakie-Test.
Die Blutuntersuchungen, die zur Diagnose von Zöliakie gemacht werden, sind zwar nie zu 100 % sicher, bei Verdacht kann man die Krankheit aber mit Hilfe einer Gewebeprobe aus dem Darm eindeutig nachweisen.
Ebenso kann es natürlich sein, dass man eine Weizenallergie hat.
Allergien auf Nahrungsmittel, wie Weizen, Milch oder Nüsse, kann man bei seinem Hautarzt mit dem sogenannten Pricktest testen lassen.
Aber auch hier gibt es keinen Grund zur Panik: Eine Weizenallergie haben nicht mehr als 1 % der Bevölkerung.7
Das neue Schreckgespenst der Glutensensitivität!
Da Paleo-Anhänger vermutlich selbst wissen, dass das Zölliakie-Argument nicht ausreicht, um Weizen und andere Getreide als Gift zu brandmarken, bauschen sie gerne das Problem der Glutensensitivität auf.
Glutensensitivität ist eine Glutenunverträglichkeit, die weder eine Zöliakie, noch eine Allergie auf Weizen oder andere glutenhaltige Getreide ist.
In den letzten Jahren ernähren sich immer mehr Menschen glutenfrei, weil sie befürchten, dass sie zu dieser Gruppe der Glutensensitiven gehören.
Einige berichten davon, dass sie nach dem Verzehr von glutenhaltigen Getreidesorten Symptome, wie Bauchschmerzen, Durchfall oder Müdigkeit bekommen und sich besser fühlen, wenn sie sich nur noch glutenfrei ernähren.
In den letzten Jahren haben sich viele Studien mit der Frage befasst, ob es tatsächlich Menschen gibt, die Gluten nicht vertragen, obwohl sie keine Zöliakie oder Allergie gegen glutenhaltige Getreide haben und ob es für diese Menschen besser ist sich glutenfrei zu ernähren.
Aktuell geht man davon aus, dass Glutensensitivität zwar existieren könnte, aber in den USA nur ca. 6 % der Bevölkerung betrifft — d. h. es gibt deutlich mehr Menschen, die sich aus Angst vor Gluten, glutenfrei ernähren, als Menschen, die tatsächlich ein Problem mit Gluten haben könnten.7
Dr. Alessio Fasano, Leiter des Zentrums für Zöllikakie-Forschung in Boston, widerspricht deshalb der Behauptung, dass ein Drittel der Menschen in den USA unter Glutensensitivität leidet und kann sich nur schwer vorstellen, dass wir von diesem Problem geplagt werden.14
Es gibt also auch hier keinen Grund zur Panik!
Was sollte man aber tun, wenn man trotzdem vermutet, dass man eine Glutensensitivität hat?
Die Autoren einer Studie von 2015 empfehlen einen sogenannten Nahrungsmittelprovokationstest, wenn man herausfinden möchte, ob man an einer Glutensensitivität leidet.8
Dazu sollte man sich für mindestens 3 Wochen glutenfrei ernähren und dann schauen, ob man Symptome, wie Bauchschmerzen oder Durchfall bekommt, wenn man wieder gutenhaltige Getreide in die Ernährung einführt.
Wenn Du als Betroffener mit Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa also das Gefühl hast, dass Du Gluten nicht verträgst und weder eine Zöliakie oder eine Weizenallergie hast, spricht nichts dagegen, dass Du diesen Test einmal machst.
Trotzdem gibt es auch für CED’ler keinen Grund in Panik zu verfallen und voreilig alle Getreide aus der Ernährung zu streichen, weil einige Steinzeit-Romantiker mal wieder die Wunderwirkungen der Paleo-Diät anpreisen.
Es kann sogar Nachteile haben sich ohne Grund glutenfrei zu ernähren.
Eine Studie von 2010 hat z. B. gezeigt, dass eine glutenfreie Ernährung die guten Darmbakterien verringert.15 Und wie wichtig die Zusammensetzung der Darmflora bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa ist, belegen mittlerweile zahlreiche Studien.
Zudem darf man nicht vergessen, dass es auch glutenfreie Getreide gibt, bei denen die Frage nach einer möglichen Glutenunverträglichkeit überhaupt keine Rolle spielt.
Eigenartigerweise sind glutenfreie Getreidesorten bei der Paleo-Ernährung ja auch verboten!
Ich habe im Colitis-Schub nichts besser vertragen, als gekochten Reis.
Hätte ich das lieber lassen sollen, weil es nicht Paleo war?
Sollte man bei CED auf Hülsenfrüchte verzichten?
Alle Getreidesorten zu verdammen, reicht den Paleo-Anhängern nicht aus.
Auch Hülsenfrüchte sind des Teufels, weil sie sogenannte Anti-Nährstoffe enthalten.
Diese schädigen angeblich unsere Darmwand und führen so zu einem löchrigen Darm und Autoimmunerkrankungen, wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa.
Auch hier wird immer wieder behauptet, dass unsere Steinzeit-Vorfahren keine Hülsenfrüchte gegessen haben und wir deshalb nicht genetisch daran angepasst sind.
Wie gesagt, ich halte das Gen-Argument ohnehin für unsinnig. Aber davon abgesehen, konnte man auch hier nachweisen, dass schon unsere Steinzeit-Vorfahren Hülsenfrüchte gegessen haben.
So zeigen archäologische Funde aus Israel, dass sich die Jäger und Sammler in der Steinzeit vorwiegend von Hülsenfrüchten ernährten, wenn im Frühling die Fettspeicher der meist gejagten Tiere, wie Gazellen und Rehe, aufgebraucht waren.9
Auch was die Anti-Nährstoffe in Hülsenfrüchten betrifft, wird maßlos übertrieben.
Ja, es ist richtig, dass Hülsenfrüchte, wie Linsen, auch Stoffe enthalten, die Nachteile haben.
So sorgen z. B. Enzyminhibitoren dafür, dass das Eiweiß aus Linsen schlechter verdaut wird, Lektine reduzieren die Nährstoffaufnahme und Phytinsäure verhindert die Aufnahme von Mineralien.
Was jedoch gerne verschwiegen wird, dass diese Effekte bei Enzyminhibitoren und Lektinen durch Kochen fast völlig verschwinden und dass diese Substanzen auch positive Effekte haben.10
So können sie z. B. antioxidativ wirken, was hilfreich bei Entzündungen ist, und das Tumorwachstum unterdrücken.
Wenn ich rote Linsen ca. 2 Stunden auf niedriger Flamme koche, vertrage ich sie ohne Probleme.
Kochen ist eine Technik, die wir erst die letzten 2 % der Menschheitsgeschichte anwenden.
Ich weiß nicht, ob das bedeutet, dass Kochen Paleo ist oder nicht?
Sollte ich darüber nachdenken?
Oder sollte ich einfach auf meinen Körper hören und das essen, was ich gut vertrage?
Es ist doch wunderbar, dass wir Menschen Techniken entwickelt haben, um Lebensmittel verträglicher zu machen. Dadurch brauchen wir für viele Dinge gar keine genetische Anpassung!
So hat man vor etwas über 2.000 Jahren in China herausgefunden, dass man Sojabohnen verträglicher machen kann, wenn man sie zu Tofu, also Bohnenquark, verarbeitet.
Ich mische mir morgens gerne etwas Sojajoghurt in den Haferbrei und vertrage auch Tofu besser als Fleisch oder Milchprodukte.
Sollte ich jetzt Tofu aus meiner Ernährung streichen, weil meine Vorfahren noch nicht wussten, wie man Tofu herstellt?
Paleo-Anhänger tun gerne so als würde die menschliche Entwicklung nur über die Gene ablaufen. Dabei sind gerade bei uns Menschen, die kulturellen Errungenschaften, die von Generation zu Generation weitergegeben werden, viel wichtiger!
Sollte man bei CED komplexe Kohlenhydrate durch Fett und Eiweiß ersetzen?
Da bei der Paleo-Ernährung komplexe Kohlenhydrate verboten sind, bleiben als Alternative natürlich nur Fett und Eiweiß übrig.
Statt Haferflocken, Nudeln, Brot und Reis gibt es bei der Paleo-Diät deshalb Eier, Fleisch und Fisch in großen Mengen.
Die Paleo-Diät entpuppt sich damit als eine Variante der Low-Carb-Diät, die ja schon der Arzt Wolfgang Lutz zur Behandlung von Morbus Crohn und Colitis ulcerosa empfohlen hat.
Wie schädlich dieser Vorschlag ist, kannst Du in meinem Artikel über die Lutz-Diät nachlesen.
Ich denke nicht, dass unsere Steinzeitvorfahren besonders viel Eier, Fleisch und Fisch gegessen haben. Aber da Paleo-Anhänger auch bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa viele tierische und fettreiche Lebensmittel empfehlen, möchte ich ein paar Studien erwähnen, die sich mit den Auswirkungen dieser Lebensmittel bei CED beschäftigt haben.
So konnte man z. B. nachweisen, dass gesättigte Fette die Durchlässigkeit der Darmwand erhöhen und dadurch Bakteriengifte in die Blutbahn gelangen, die dann Immunzellen dazu anregen, entzündungsfördernde Botenstoffe, wie TNF-α, zu produzieren.11
TNF-α ist der Botenstoff, den man versucht mit Medikamenten, wie Humira und Remicade, zu blockieren.
Macht es da Sinn möglichst viele tierische Lebensmittel zu essen, die viele gesättigte Fettsäuren enthalten und so zur Freisetzung dieses Botenstoffes führen? Ich würde sagen, nein!
Darüber hinaus vermutet man, dass nicht nur die gesättigten Fette im Fleisch ein Problem sind, sondern dass alle tierischen Produkte Bakteriengifte enthalten, die den Entzündungsprozess bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa auslösen und aufrechterhalten.12
In einer weiteren Studie aus Japan kommen die Autoren zu dem Schluss, dass die steigende Anzahl von Morbus-Crohn-Patienten in Japan u. a. damit zu tun haben könnte, dass die Japaner seit den 1960er Jahren mehr tierisches Eiweiß essen.16
Sollte man nicht vorsichtig damit sein die Paleo-Diät für Patienten mit chronischen Darmentzündungen zu empfehlen, wenn Studien darauf hinweisen, dass Japaner häufiger Morbus Crohn bekommen, weil sie in den letzten Jahrzehnten genau das tun, was die Paleo-Diät empfiehlt?
Wenn nicht Fleisch und Fett das Problem sind, sondern komplexe Kohlenhydrate, wo bleiben dann die Studien, die zeigen, dass Reis bei Japanern Morbus Crohn auslösen könnte?
Ich behaupte nicht, dass man aufgrund dieser Studienergebnisse bei CED gar keine tierischen Produkte mehr essen sollte.
Ich habe bereits einen Artikel über eine japanische Studie geschrieben, in der Morbus-Crohn-Patienten deutlich weniger Rückfälle hatten, wenn sie eine Diät aßen, in der Fleisch, Fisch, Milchprodukte und Eier in geringen Mengen erlaubt waren.
In meinen Augen ist das ein sehr vernünftiger Ansatz.
Letztendlich sollte man sich auch nicht nur an Studien orientieren, sondern immer ausprobieren, was einem gut bekommt und was nicht.
Auf keinen Fall sollte man aber alle Getreidesorten streichen und Unmengen an Fett und Eiweiß essen, weil es eine wissenschaftlich nicht belegte Trend-Diät so vorschreibt.
Fazit
Ich will gar nicht bezweifeln, dass es CED-Patienten gibt, die mit der Paleo-Diät eine Remission erreicht haben.
Ich denke nur, dass das rein gar nichts damit zu tun hat, dass die Betroffenen sich wie ihre Vorfahren aus der Steinzeit ernähren.
Wenn ich jahrelang nur Fast-Food esse und dann auf eine Paleo-Diät umstelle, bei der ich statt Fertigprodukten viel Obst, Gemüse, Fleisch, Fisch und Eier esse, kann es durchaus sein, dass es mir besser geht.
Das heißt aber nicht, dass viel Fleisch, Fisch und Eier gesund sind.
Das heißt einfach, dass Fertigprodukte ungesund sind und Obst und Gemüse viele wichtige Nährstoffe enthalten. Das ist keine große Überraschung. Diese Erkenntnisse bekommt man auch von der DGE und nicht nur von seinen Vorfahren aus der Steinzeit.
Wenn ich eine Weizenallergie oder Glutenunverträglicheit habe und alle komplexen Kohlenhydrate weglasse, geht es mir natürlich auch besser. Das würde aber auch dann passieren, wenn ich statt Weizen oder Roggen nur noch glutenfreie Getreidesorten, wie Reis, Hirse oder Buchweizen, esse.
Selbst bei Problemen mit Weizen oder Gluten gibt es keinen Grund pauschal alle komplexen Kohlenhydrate zu verteufeln.
Und wie bereits gezeigt: Auch unsere Vorfahren in der Steinzeit haben komplexe Kohlenhydrate gegessen.
Dazu kommt, dass es nie die „eine“ Steinzeit-Ernährung gegeben hat.
Auch in der Steinzeit hat man zu verschiedenen Zeiten in verschiedenen Regionen unterschiedliche Nahrungsmittel gegessen.
Wir Menschen waren in der Evolution vor allem deshalb so erfolgreich, weil wir flexibel und anpassungsfähig waren und uns nicht nur über die Gene, sondern auch mit Hilfe von kulturellen Techniken, angepasst haben.
Ich finde die Idee der Paleo-Ernährung deshalb irreführend und würde sie weder einem Gesunden, noch einem Patienten mit Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa empfehlen.
Gerade Patienten mit einer Darmerkrankung vertragen ohnehin viele Lebensmittel nicht. Eine Ernährung, die fast nur aus Verboten besteht, ist da eher schädlich als hilfreich.
Quellen:
- 1 Weiss E et al., The broad spectrum revisited: Evidence from plant remains, PNAS 2004, (Das breite Spektrum betrachtet: Beweise von Pflanzenresten)
- 2 Revedin A et al., Thirty thousand-year-old evidence of plant food processing, PNAS 2010, (30.000 Jahre alte Beweise für die Verarbeitung von pflanzlichen Nahrungsmitteln)
- 3 Mercader J, Mozambican grass seed consumption during the Middle Stone Age., Science 2009, (Gräsersamenkonsum während der Mittelsteinzeit in Mosambik)
- 4 Hawks J, Conversation: Evolution overdrive – The human genome is changing faster than ever, Archaeology 2008, (Evolution im Schnellgang – das menschliche Genom verändert sich schneller als jemals zuvor)
- 5 Purohit V., Alcohol, Intestinal Bacterial Growth, Intestinal Permeability to Endotoxin, and Medical Consequences, Alcohol 2008, (Alkohol, Bakterienwachstum im Darm, Durchlässigkeit des Darmes für Endotoxine und die medizinischen Folgen)
- 6 Abadi V et al., Integration of genetic and immunological insights into a model of celiac disease pathogenesis., Annu Rev Immunol 2011, (Die Integration genetischer und immunologischer Einsichten in das Modell der Krankheitsentstehung von Zöliakie)
- 7 Shewry PR, Hey SJ, Do we need to worry about eating wheat?, Nutr Bull 2016, (Sollten wir uns Sorgen machen um das Essen von Weizen?)
- 8 Czaja-Bulsa G, Non coeliac gluten sensitivity – A new disease with gluten intolerance, Clinical Nutrition 2015, (Nicht-Zölliakie Glutensensitivität – Eine neue Krankheit mit Glutenintoleranz)
- 9 Lev E et al., Mousterian vegetal food in Kebara Cave, Mt. Carmel, Journal of Archaeological Science 2005, (Vegetales Essen des Moustérien in der Kebara-Höhle, Mt. Carmel)
- 10 Campos-Vega R et al., Minor components of pulses and their potential impact on human health, Food Research International 2010, (kleine Bestandteile von Hülsenfrüchten und ihr potentieller Einfluss auf die menschliche Gesundheit)
- 11 Ghanim et al., Increase in Plasma Endotoxin Concentrations and the Expression of Toll-Like Receptors and Suppressor of Cytokine Signaling-3 in Mononuclear Cells After a High-Fat, High-Carbohydrate Meal, Diabetes Care, Dezember 2009, (Anstieg der Plasma-Endotoxin-Konzentration und der Expression von Toll-like Rezeptoren und Suppressor of Cytokine Signaling-3 in mononukleären Zellen nach einer fett- und kohlenhydratreichen Mahlzeit)
- 12 Erridge C, The capacity of foodstuffs to induce innate immune activation of human monocytes in vitro is dependent on food content of stimulants of Toll-like receptors 2 and 4., Br J Nutr, Januar 2011, (Die Kapazität von Lebensmittelstoffen die Aktivität der menschlichen Monozyten des angeborenen Immunsystems in vitro zu verursachen ist abhängig vom Inhalt der Lebensmittel an Stimulantien der Toll-like Rezeptoren 2 und 4)
- 13 Perry GH et al., Diet and the evolution of human amylase gene copy number variation, Nat. Genet. 2007, (Ernährung und die Evolution der Variation der Anzahl der menschlichen Amylase-Gen-Kopien)
- 14 The gluten debate: cutting the wheat from the chaff, The Globe and Mail 2012, (Die Glutendebatte: Die Spreu vom Weizen trennen)
- 15 Sanz Y, Effects of a gluten-free diet on gut microbiota and immune function in healthy adult humans, Gut Microbes 2010, (Die Effekte einer glutenfreien Diät auf das Darmmikrobiom und die Immunfunktion von gesunden Erwachsenen)
- 16 Shoda R et al., Epidemiologic analysis of Crohn disease in Japan: increased dietary intake of n-6 polyunsaturated fatty acids and animal protein relates to the increased incidence of Crohn disease in Japan., Am J Clin Nutr. 1996